Zwischentöne

Am vergangen Freitag war wieder so ein Tag.
Nach nervtötendem Dauerregen und Kälte, brach sich der Frühling zögerlich Bahn und einige Blüten und Töne folgten seinem Ruf.
Der wintertriste Hof zeigte erste Gastgeberqualitäten.
Per whatsapp erhalte ich Nachricht, dass aus Büdingen mindestens 15 Leute aus den Unterkünften kämen, sie hätten was zu Essen dabei, dazu unsere Calbacher Flüchtlinge und die Leute, die sich so allmählich als konstanter Anwesenheitsfaktor erweisen, Wir, die Ehrenamtler, deren Kinder und Kindeskinder und ein paar junge Leute, die interessiert sind, an den Geschehnissen.Alles in allem eine bunte Truppe.
Peter fährt den Weg nach Büdingen und zurück zweimal, bis alle da sind. Die meisten kennen wir. Viele nicht.
Bevor wir uns versehen, ist die große Feuerschale zum Grill umfunktioniert, Jochen muss ziemlich flitzen bis alles an seinem Ort ist, Tische, Bänke, Teller, es sind ziemlich viele auf einmal da, einen weiteren Grill bei den Nachbarn borgen ( O-ton: Hast du Salz?, hast du Nachbar?)
Eine große Schale bunter Salat und Fladenbrot wird aufgetischt und in der Halle dröhnt Musik, Trommeln und vereinzelte Gesänge aus der Beschallungsanlage, die wir mittlerweile haben.
Das Barbeque ist köstlich und wir begraben unsere vegetarischen Vorsätze, um nicht unhöflich zu erscheinen.
Zwei Flaschen Raki sind im Nu geleert und ich danke der ländlichen Fehlentwicklung, die dazu geführt hat, das es in unserem Dorf weder eine Kneipe, noch einen Lidl gibt, wo sie hätten Nachschub beschaffen können. Unterdessen wird in der Halle getanzt, getrommelt, gesungen und sehr verhalten, selbst musiziert.
Ich spiele mit Mahmood, dem kleinen Jungen und Suria, der Enkelin von Karin, Tischfußball.
Bald kommen andere dazu, die einen spielen super, andere zum ersten Mal:
Sehr lustig.
Ein junger Kerl aus Rothenburg, erzählt von seiner Heimat Damaskus. Wir kennen das gleiche Caffe, haben beide im Abstand von 10 Jahren darin Tee getrunken und shischa geraucht. Er trifft hier seinen Freund aus der Heimat wieder, 5 Jahre nicht gesehen.

Niki, Katrins Sohn, lässt die Kamera laufen. Ich dachte, es wäre gut, wenn auch Bilder der Freude und des Spiels entstehen könnten, angesichts der Anspannung und des Stresses, mit dem die meisten zu kämpfen haben.

Diesen Gedanken muss ich revidieren:

  • 1. Sind die meisten der Flüchtlinge Muslime, die ein Problem mit Fotografiertwerden  haben. Das Foto raubt dir die Seele. (Ich, Nichtmuslima, kann das nicht beurteilen aber ganz wohl ist mir auch nicht, wenn ich geblitzt werde.)
  • 2.Kennen fast alle das Blitzlichtgewitter, als sie, wo auch immer, an Land gingen, krochen oder getragen wurden, in Lagern oder Zelten oder Hallen Unterschlupf fanden, in Pfützen spielten, um Nahrung anstanden, in Bussen verfrachtet durch die Lande gekarrt wurden,
  • 3. sie alle wurden sie in Dienststellen und Gerichtssälen vermessen, fingerabdruckkartiert, und registriert, mit Bild und Geschichte

Wieder ist es das Kind, Mahmood, das dem Druck nicht standhalten kann. Die Älteren sprechen in die Kamera, einige lassen sich ablichten, filmen selbst die Tänzer, das Barbeque, uns, das Fußballspiel.
Mahmood ist verzweifelt.
Gezwungen von uns, der Gruppe, steht er allein vor der Kamera und bringt mit Ach und Krach ein Wort heraus. Danke.
Dann fängt er an zu weinen und kämpft mit seinem Vater, den er für seine Spannung verantwortlich macht. Er kann sich für eine ganze Weile nicht beruhigen.

Seine Welt ist in Brüchen. Danke wofür? Es zerreißt einem das Herz.

Als wir uns verabschieden, sage ich ihm, dass er sehr tapfer gewesen sei, dass ich die Kamera auch nicht gut fände, ich streiche ihm über den Kopf, ordne mit meinen Fingern sein glänzendes Haar und frage ihn, ob er nächstes Mal wieder mit mir Tischfussball trainieren würde.
Er nickte und sagte leise: „mein Mama ist auf gerade Boden. Sie sicher.“

(Mahmoods Mutter und Geschwister sitzen seit Monaten in Idomeni fest, ob und wann sie kommen steht in den Sternen, sein Vater Malek ist anerkannter Flüchtling und darf laut Gesetz seine Familie nachholen)

Freitag, 1.4.2016